Januar 2016

Sehr geehrter Herr Strohmeyer, unsere elf Monate alte Hündin zeigt seit kurzem deutliche Anzeichen von Geräuschempfindlichkeit. Sobald es knallt wird die Rute eingekniffen und das anschließende Verhalten ist deutlich gebremst. Die Verängstigung hält einige Zeit an ...Wir haben uns auf Ihrer Homepage orientiert und suchen Ihren Rat!

Es wäre schön, wenn Sie uns helfen könnten!

 

Mit freundlichen Grüßen, ...

 

Januar 2016

 

Sehr geehrter Herr ..., ich danke Ihnen für Ihre Nachricht und empfehle Ihnen folgende  Vorgehensweise.

 

Gerne verweise ich eingangs noch einmal auf meine Rubrik Schussfestigkeit (... hier klick).

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass ein Hund mit solchen Symptomen in Expertenhand gehört, um diese Einschränkungen bewältigen. Mit der erforderlichen Vorsicht können Sie sich selber an eine Lösung heranwagen.

 

1. Schussfestigkeit kann man nicht üben, allenfalls sollte Schussscheue oder Schussempfindlichkeit (die Vorstufe von Schussscheue) langsam abgebaut werden. Sobald ersichtlich ist, dass der Hund unter einem Knall leidet, muss in weiten Bereichen zurückgerudert werden, um den Hund so gut wie möglich dieses Leid zu ersparen. Es bedarf einer ausgewogenen Therapie, um den Hund gesunden zu lassen.

 

2. Auf keinen Fall darf der betroffene Hund die Geräuschabgabe (z.B. Knall) optisch mit einer Langwaffe in Verbindung bringen dürfen. Es bedarf häufig nur Bruchteile von Momenten, dass unser Vierbeiner hier eine Verbindung herstellt und von da an das unerwünschte Verhalten schon beim Anblick oder den notwendiger Weise entstehenden Geräuschen (Auf- und Zuklappen der Waffe) zeigt.

 

3. Unabhängig der Erzeugung von Knall bedarf es einer Menge von entspannten und entspannenden Momenten. Für den Spieltrieb sollten wir dem Hund mehrere Spiele anbieten. Es bietet sich hier wieder einmal das Tennisball – Prinzip an (... hier klick). Ferner auch das Häppchen fangen: Dem Hund wird in Sitzstellung, z.B. ein Frolic, in Richtung Fang zugeworfen. Er soll lernen, es aus der Sitzstellung im Sprung aufzufangen. Beide Arten von Spielen machen den meisten Hunden sehr viel Spaß. Wichtig sind einhergehende, immer gleichlautende Motivationskommandos („Fass“, „Pass auf“, „Fang“). Der Hund sollte durch diese Spiele elektrisiert und gefesselt werden.

 

4. In absoluter Konsequenz räumlicher und zeitlicher Trennung zu den spielerischen Komponenten wird der Hund schonend an ungewohnte Geräusche herangeführt.

 

Ich empfehle dazu folgende Vorgehensweise:

Wenn es früher üblich war, Pakete mit Holzwolle auszupolstern, nimmt man heute gerne Luftkissen aus Plastik. Diese haben die Größe eines Schwammes und lassen sich mit der Hand gut zerdrücken. Dabei entsteht ein respektabler Knall, der von uns umso stärker gedrosselt werden kann, je tiefer er in unserer Kleidung am Körper erzeugt werden kann. Im vielfältigen Alltagsgeschehen werden diese Knall-Geräusche im Beisein des Hundes erzeugt. Dabei darf es zu keinen besonderen Reaktionen des Führers kommen. Es wird also weitergegangen (nicht extra stehen geblieben), weiter gejätet, weiter holzgehackt, rasengemäht, Wäsche aufgehängt usw. Ein Innehalten und Beobachten kann dazu führen, dass der Hund noch mehr verunsichert wird.

Sollte der Hund unbefangen reagieren, wandert das Luftkissen immer weiter aus den unteren Kleidungsschichten nach oben. Spielt der Knall des Luftkissens im Freien schließlich keine Rolle mehr, wenden wir uns „Wasserbomben“ zu. Das sind Luftballons, die man bei Kindergeburtstagen mit Wasser füllt. Sie sind auch aufzupusten, um sie dann mit der Hand zu zerdrücken. Der Knall ist ungleich lauter, sollte erstmals wieder weit unter der Kleidung erzeugt werden, dann wird letztlich in ähnlicher Reihenfolge wie mit dem Luftkissen verfahren.

 

Wichtig: Jede Handlung sollte nach dem Knallgeräusch fortgeführt werden, als wenn nichts passiert wäre. So erkennt der Hund, dass solche Laute zum Alltag gehören, keine Gefahr beinhalten und „verdaut“ werden können. Auf so etwas zu reagieren, muss für den Hund langweilig werden. Ziel ist, mit Herrchen (oder Frauchen) zu leben und solche Geräusche aus der Tiefe des Körpers und letztendlich aus der Hand zu akzeptieren.

 

Ist der Hund schließlich angesichts des Außenknalls unbeeindruckt, wird diese Art der Knallerzeugung in die unter 3. beschriebenen Spiele eingebunden. Bestenfalls „knallt“ eine zweite Person mit Kissen oder Wasserbombe aus anfangs 20 m, schließlich aus kürzerer Entfernung.

 

Achtung: Sollte unser Vierbeiner anlässlich irgendeiner Stufe auch nur leicht beeindruckt sein, muss rigoros auf eine Stufe zurückgeschaltet werden, die ihm nichts ausgemacht hat.

Wir sollten uns alle Zeit der Welt nehmen. Ein schneller Fortschritt könnte auf tönernen Füssen stehen!

 

5. Klappt es mit unterschiedlichen Spielkomponenten parallel zur beschriebenen Knallerzeugung, schießt eine zweite Person mit einem leichten Schreckschussrevolver aus anfangs 30 m Entfernung, später aus geringerer und / oder mit stärkerer Schreckschusswaffe (immer noch keine Langwaffe!!!).

 

6. Nach entsprechendem Erfolg wird nun in diesem Verfahren von einer zweiten Person ein Luftgewehr, später eine Flinte verwendet. Die Waffen sollten anfangs vom Hund nicht eräugt werden können. Die Entfernungen werden von 30 m auf wenige Meter reduziert.

 

7. Schließlich handhabt der Führer selbst einen Schreckschussrevolver um dann vermutlich auf die Langwaffe umschwenken zu können. Bestenfalls erst einmal ein Luftgewehr, dann ein Kleinkaliber - Gewehr um schließlich bei der Flinte zu landen. Alle Schließ- und Öffnungsgeräusche sollten anfangs dem Hund verborgen bleiben.

 

8. Interessant kann es auch sein, in die spielerischen Akzente den Dummy eines Telebocks einzubauen. Ist der Hund weitestgehend kapitelfest kann dieser Dummy abgeschossen werden, sodass der Hund sogar für den Knall begeistert werden kann.

 

Zusammenfassung: Unschwer ist zu erkennen, dass es zur Problemlösung u.U. nur in kleinen Schritten kommen kann. Die vielfältigen durchdachten Maßnahmen zeigen, wie problematisch das Phänomen der Schussscheue sein kann. Bestenfalls sollte jeder kleine Schritt konsequent eingehalten werden.

 

Das beschriebene Verfahren ist nicht als Abrichtung zu verstehen sondern als Therapie. Ziel ist, dass der Hund mit Hilfe seiner Selbstheilungskräfte gesundet. Wir als Therapeuten geben die notwendige Unterstützung.

 

Viel Erfolg!

K-H.S.

 

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