Fall 3 Standtreue, weites Jagen

 

Hallo Karl-Heinz,

 

hast du irgendwie eine Idee wie ich Kalle auf den Jagden kürzer bekomme!? Ich war gestern und heute im ... und beide Tage hat er unheimlich weit gejagt. Gerade ist er über 4 km weit weg von meinem Stand.

Zu Hause beim alltäglichen Gassigehen oder spazieren gehen, geht er nie weit. Sobald er die Weste an hat und jagen kann, setzt irgendwie alles bei ihm aus.

 

Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir ein paar Tipps geben könntest weil Kalle in der ... ein sehr hohes Ansehen genießt und sehr gut jagt. Zumal möchte ich meinen Kalle ungern dadurch verlieren, dass er weiter weg von mir von einer Sau geschlagen wird oder ihm eine Straße zum Verhängnis wird.

 

Vielen Dank im Voraus.

 

Mit den besten Grüßen

 

Problemlösung

 

Dieses beschriebene – ausufernde – Verhalten eines jungen Rüden ist nicht selten bei Stöberhunden – so auch Bracken, Teckeln oder Terriern -  zu beobachten. Das „weite Jagen“ (nicht zu verwechseln mit dem „Weitjager“ gemäß § 77 unserer PO) ist naturgemäß oft mit der Schwierigkeit verbunden, dass der Hund bis zum Abschluss der Jagd sich nicht am Stand eingefunden hat.

 

Die Ursachen solcher Verhaltensweisen können sein:

  • Die ursprüngliche Veranlagung des Hundes (Orientierungssinn, Bindungsverhalten, Prägung) ist nicht ausgebildet oder verkümmert. Es ist unbestritten, dass es dafür eine genetische Fixierung geben dürfte. Auch die heute diskutierte Epi-Genetik (Die Epigenetik bezeichnet Vorgänge, die außerhalb der Genregulation der Genexpression wirken, aber sie beeinflussen - Wikipedia) könnte eine entscheidende Rolle spielen. Züchterisch muss auf dieses Verhalten verstärkt das Augenmerk gerichtet werden.

 

  • Der junge Hund wurde zu früh an das Drückjagdgeschehen herangeführt. Die Erfahrung zeigt, dass ein junger Hund im Getümmel einer Gesellschaftsjagd sehr schnell „verwildern“ kann. Die gute Absicht des Hundes, nach erfolgreichem Stöbern zurück zum Führer zu kommen, wird durch sich anschließende Reize (abspringendes Wild, jagende Hunde, Spaziergänger) erschwert oder verhindert. Häufen sich diese Situationen im Verlauf der Jagdsaison, verlernt der Hund das sichere Zurückkehren. Werden unsere Vierbeiner nach dem Jagen von mitjagenden Jägern, Treibern, Waldarbeitern oder Spaziergängern „gesichert mitgenommen“, können wir einerseits froh sein, den Hund gut aufgehoben zu wissen. Andererseits wird der Hund von Mal zu Mal mehr dazu verführt, sich auf den Zufall zu verlassen, irgendwie wieder bei seinem Führer – oder in anderer sicherer Obhut – anzulanden.

 

  • Das Verhältnis Führer – Hund könnte gestört sein. Meine Beobachtungen der letzten drei Jahrzehnte gehen allerdings dahin, dass der Hund weniger im Sinn hat, zu seinem geliebten Herrn zurückzukommen, als zum Ausgangspunkt seiner Jagd. Nicht immer war der Jagdkamerad der loden- bewandete, mit Nahrung winkende Neuzeitjäger, der die Domestikation nur so explodieren ließ! Vielmehr war „Wolf“ oder „Hund“ sehr, sehr lange auf sich alleine angewiesen. Da war es lebenswichtig, zur Höhle, zum Rudel oder zur am Vortag geschlagenen Beute zurückzufinden, also zu der Stelle, wo „die Post abging“.

 

Was können wir tun?

 

Ich vergleiche unsere jungen Hunde gerne mit einem siebzehnjährigen Jugendlichen, der gerne „um die Häuser zieht“ und die Eltern schließlich froh sein können, wenn er dann doch wieder sicher zu Hause landet. Kein Elternteil wird nach turbulenten Wochenendszenarien dem Jungspund ans Herz legen, auch noch in der Woche auf Derby zu gehen, in der Hoffnung, dass sich diese Leidenschaft zum „Abdriften“ damit langsam legen wird.

 

Bei unseren Hunden empfehle ich folgendes:

 

  1. Den Einsatz auf Drückjagden reduzieren oder vorläufig ganz einstellen.

 

  1. In den Einzeljagdmodus zurückfahren: Der Hund wird im Wald geschnallt, darf Wild jagen und wird danach wieder konsequent angeleint.  

 

  1. Das Bindungsverhalten trainieren, indem  wir

a. Mit dem  Hund verstärkt zusammen arbeiten (Apport, Führerfährte, Nach-suchenarbeit, Buschieren).     

             

b.  Das „Reinkommen“ üben: Im freien Feld wird der Hund mehrfach zur Suche geschickt und nach Entfernen auf eine feste Distanz (150 m) regelmäßig zurück (rein-) gerufen.  

 

c. Den Hund abfangen: In einem gut erschlossenem Waldgebiet den Hund zum Jagen schnallen. Mit Hilfe eines Ortungsgerätes sollte anfangs verfolgt werden, wo die Jagd hingeht. Dann kann man  mittels PKW versuchen, den Hund beim Jagen abzufangen. Ggf. können da weitere Personen helfen.    

                      

d. Vielleicht hilft es auch, sich an die früher praktizierte Bogenreinheit zu erinnern. Dabei wird der abzujagende Waldteil vom Führer (mit Hund) vorweg umschlagen. Es ist so gewährleistet, dass der jagende Hund diesen Bogen „schneidet“. Wird er dabei abgefangen, kann es zu einem entsprechenden Lerneffekt kommen.    

 

c. Last not least:  Liebe geht durch den Magen, das Zurückkommen vielleicht auch!! Soll heißen: Ein saftiges Leckerli aus der Hand von Frauchen oder Herrchen könnte den Ausflügler „beflügeln“, seine Tour kürzer zu gestalten oder entsprechend zielsicher zurück zu kehren. 

 

Es gibt keine schnelle Lösungen und keine Erfolgsgarantie. Ähnlich wie bei der Ausbildung zum brauchbaren Hund bedarf es hoher Investitionen an Zeit und Geduld.

Ich verweise auf die Rubrik Ausbildung >>> Jagdbetrieb auf dieser Homepage. Hier sind einige Tipps zu finden, wie man von Anfang an vermeiden kann, dass junge Hunde im Drückjagdbetrieb verdorben werden.

 

Die Reaktion (es gibt Menschen, die sich nach erfolgreicher "Therapie" melden!)

 

Hallo Karl-Heinz,

 

ich habe die Anregungen sehr sorgfältig gelesen und bin für die Tipps sehr dankbar.

 

Es gibt aber schon die ersten kleinen Erfolge. Ich habe mit Kalle über die Weihnachtstage sehr viel im Wald gearbeitet, ihn komplett ohne Leine laufen lassen und ihn immer wieder zum Stöbern geschickt, jedoch ihn immer wieder zurück gepfiffen auch wenn es die ersten Male unter "Zwang" war. Dies habe ich immer und immer wieder wiederholt, so dass es mir jetzt möglich ist ihn komplett ohne Leine beim alltäglichen Spaziergehen wo auch immer zu führen.

Ich bin heute auf einer Jagd im Bischofswald gewesen bei der ich Kalle wieder geschnallt habe. Dabei habe ich mir aber vorgenommen ihn jedes Mal, wenn er zurück kommt mit einem Leberwurstbrötchen zu belohnen. Nach dem Schnallen löste er sich zügig vom Stand und jagte nach Angaben eines Nachbarschützen zwei Überläufer aus ihrem Einstand. Nach ca. 20 Minuten kam er auf seiner Fährte sauber zurück und kam das erste Mal auf den Stand zu mir. Darauf hin bekam er ein Stück vom Leberwurstbrötchen und ich freute mich so offensichtlich, dass er sich erstmal ablegte und dafür lobte ich ihn dann noch mehr. 

Nach ca 5 Minuten schickte ich ihn wieder zum Stöbern, worauf hin er eine etwas größere Tour machte und nach ca  einer halben Stunde wieder am Stand war. Ich lobte ihn wieder sehr und nach Belohnung und das er was getrunken hatte, schickte ich ihn wieder zum Stöbern. 

Er machte dann wieder erst kleine Bogen um den Stand und wurde dann weiträumiger von seiner Suche. Um ca. 1245 Uhr kam er wieder Richtung Stand, wobei er dies mal ein Kahlwildrudel jagte und ich ihn auf dem Wechsel des Kahlwildrudels über den Rückeweg abfangen konnte. Dies mal war er aber schon sehr kaputt, jedoch lobte ich ihn wieder sehr fröhlich und nahm ihn mit an den Stand.

 

Das waren schon mal die ersten Schritte in die richtige Richtung. 

Ich werde weiter an dem Zurückkommen arbeiten.

Zusätzlich habe ich mir vorgenommen mit Kalle die Verbandsschweißprüfung und die EP zu laufen, da ich hoffe das so die Zusammenarbeit zwischen uns beiden noch intensiver und die Bindung noch enger wird.

 

Falls du noch Anregungen hast, würde ich mich sehr freuen von diesen zu hören.

 

Vielen Dank im Voraus.

Mit den besten Grüßen

 

 

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