Jeder Züchter möchte das Vitalitäts- und Leistungsniveau seines Zwingers erhalten und besser noch steigern. Dieses kann er, indem er sich nicht in der Verwandtschaft seiner Hunde bedient, sondern Zuchtpartner aus Zwingern wählt, die mindestens so gut sind wie die seinen. Wurde in seiner Linie bereits „eng“ gezüchtet was in der Regel der Fall ist kann es neben der beschriebenen „Ausdünnung" von Krankheiten zum bekannten Heterosiseffekt kommen, also zu einem „Schub nach vorne" in Sachen Vitalität und Leistungsvermögen. Parallel zur Aus - Zucht müssen deutlich bedrohlich erbkranke Hunde von der Zucht ausgeschlossen weiden. Dieses kann eine weitere wichtige Chance sein gegen Erbdefekte vorzugehen! Nur muss das mit sehr viel Bedacht geschehen, da letztlich mit jedem Tier, das aus der Zucht verschwindet, die effektive Populationsgröße verringert wird. Von Seiten der Zuchtverbände sollte meines Erachtens dringend besser ausgelotet werden, was wirklich „krank" heißt, und damit zum Zuchtausschluss führen muss. Es sollten Dinge toleriert werden, die eine Population nicht gefährden (P1 Problematik). Ferner bedarf es immer wieder einer Abwägung der Bedrohlichkeiten. Denn was heute vielleicht noch „die Krankheit schlechthin'' ist, kann morgen seine Bedeutung angesichts anderer Probleme verloren haben.
Eine lange Rute kann den Gebrauchshund nicht nur bei seiner Arbeit stören, sie kann ihn leiden lassen, wenn er sie sich immer wieder verletzt. Von D. Fleig in seinem ansonsten hervorragenden Buch „Die Technik der Hundezucht" in einem leidenschaftlichen Appell gegen das Kupieren der Ruten gefordert: Man solle doch wenn man es braucht Hunde mit kürzeren Ruten züchten. Als wenn das so einfach wäre: Wenn wir dann schließlich die „Stummelschwänzigkeit“ in den Anlagen unserer Rasse vertreten hätten, wie hoch wäre der Preis dafür? Es ist eher zu rechtfertigen, mit einem minimalen Eingriff eine praxistaugliche Rute zu schaffen. Wir müssen uns bei der Zuchtauslese auf Dinge konzentrieren, welche die Zuchtbasis erhalten und dafür sorgen, dass die Erbgesundheit gesteigert wird.
Ähnlich gefährlich kann es aber auch sein, gezielt auf eine, oder auch mehrere Krankheiten hinzu selektieren. Die Hüftgelenksdysplasie (HD) ist eine schwerwiegende Erbkrankheit. Ich behaupte, wir nehmen sie gerade deswegen so ernst, weil sie sich als einzige Erbkrankheit gut messen, bewerten und vermarkten lässt. Es gibt andere gravierende Erbkrankheiten und auch einige, die dramatischer, aber schlechter oder gar nicht zu erfassen sind. Ich erinnere an die primären und auch sekundären Wehenschwächen.
Indem wir uns auf eine Krankheit stürzen, laufen wir Gefahr, andere zu vernachlässigen. Einem Hund mit mittelgradiger HD kann es bis ins hohe Alter gut gehen, ein Hund mit Hautproblemen kann ein Leben lang leiden. Ersterer hat eine Erbkrankheit, die erkannt und erfasst ist, die ihn aber nicht krank macht, richtigerweise aber von der Zucht ausschließt. Der andere Hund ist ebenfalls erbkrank, es wurde aber offiziell nicht be - und vermerkt, es macht ihn wirklich krank und es kommt nur dann zum Zuchtausschluss, wenn der Züchter und sein Umfeld die Bedeutung erkennen und verantwortungsvoll handeln. Dieses ist eine wichtige Kernaussage: Mehr noch als der Zuchtverband festlegen, reglementieren und überwachen kann und muss, ist der Züchter gefragt, eigenverantwortlich zu handeln. Dieses Handeln besteht im Wesentlichen heutzutage aus dem Abwägen: Was ist hinnehmbar, was nicht? Wie bei der Technik der Hundezucht bedarf es hier des Wissens und der Erfahrung der Züchter. Der Zuchtverband ist in der Pflicht. entsprechend zu informieren, zu schulen und dann auch abzuverlangen. Da gibt es durchaus Erscheinungsbilder, die einzeln im Rahmen der Zuchtbestimmungen liegen, aber in der Summe ein Züchten nicht zulassen. Andererseits gibt es Schwächen, die man aufgrund großer Stärken tolerieren sollte. Die Zuchtverbände sollten solche Grenzen stecken, in denen sich ein Züchter frei bewegen kann. Gefährlich ist eine Scheinmoral: Legt der Verband fest, dass die Grenze eines x-beliebigen Faktors 50 ist, darf der Züchter, der mit 49 züchtet, deshalb nicht geächtet werden. Die Zahl der zuchtausschließenden Faktoren muss minimiert werden, um dem Züchter in seinem Ermessensspielraum mehr Möglichkeiten zu geben. Schwächen in einer Linie die Gesundheit oder Leistung betreffend kann häufig der Züchter nur allein erkennen und damit wirkungsvoll „dagegen züchten". Die Bereitschaft, Träger vermutlich kritischer Erbsubstanz freiwillig eigenverantwortlich aus der Zucht zu nehmen, wächst nicht, wenn der Zuchtverband in anderen Bereichen kleinliche Vorgaben macht. Ein Fallbeispiel: Züchter X hat eine hochvitale, wesensfeste und im praktischen Jagdbetrieb sehr leistungsstarke Hündin, der es nach drei Zuchtprüfungen letztlich immer noch an einer halben Zuchtnote fehlt. Der zweiten Hündin fehlt der P1, gleich Zuchtausschluss, eine dritte hat leichte HD, mit der man züchten dürfte, wäre da nicht die gewisse Doppelmoral! Die vierte Hündin nun ist leistungsstark und offensichtlich kerngesund. Alles atmet auf und der Kreis der Welpen Interessenten wächst. Nach der ersten Hitze stellen sich Hautprobleme ein, die zwar gut therapierbar sind, aber immer wieder auftauchen, also chronisch werden und eine erhebliche erbliche Belastung vermuten lassen. Ob Züchter X wohl mit dieser Hündin züchten wird? -----