Aber wie verhalten wir uns heute, wie morgen?
Spätestens im Nachruf auf einen erfolgreichen Züchter steht in der Vereinszeitung zu lesen: „...so hat er denn verdienstvoll konsequent in seiner Mutterlinie gezüchtet". Natürlich hat eine solche Einstellung zur Mutterlinie nicht nur etwas mit Nostalgie und Züchterromantik zu tun, sondern zeugt auch von der großen seelischen Verbundenheit der Menschen zu ihren Tieren. Auch können die vielen Mutterlinien in einer Rassegemeinschaft für eine gewisse Breite in der Population sorgen.
Trübt aber der verständliche Hang zur eigenen Mutterlinie nicht oft den Blick eines Züchters? Läuft er dadurch nicht Gefahr. einen Teil seines Urteilsvermögens, das er dringend benötigt, um die Leistungsfähigkeit und vor allem die Gesundheit der Nachkommen objektiv zu bewerten, einzubüßen? Mutterlinienzucht heißt nichts anderes, als dass man nach seiner hoffentlich gesunden und leistungsstarken Hündin eine Tochter zur Weiterzucht verwendet und dieses im Prinzip während eines Züchterdaseins beibehält. Dagegen spricht nichts, solange die Gesundheit und das Leistungsvermögen des Nachwuchses den eigenen Vorstellungen und denen des Zuchtverbandes entsprechen. Dagegen spricht allerdings alles, wenn das nicht der Fall ist.
Katastrophal für die Mutterlinie und für die Population wird es, wenn aus dieser Linie der Deckrüde genommen wird. Wie häufig fällt der Ausspruch: „Da hast Du sogar den Blutanschluss zu Deiner Linie!" Bei eventueller Skepsis kommt dann meist der bereits bekannte Satz dazu: „Das kann man 'mal machen". Natürlich kann man so etwas einmal machen, aber erst nach einer Überprüfung, wie oft dieses „eine Mal" in der Linie schon vorher stattgefunden hat. Was würden wir wohl sagen, wenn ein Mann die Tochter des Bruders seines Vaters heiratet, also seine Cousine, und wir dabei wüssten, dass dieses schon seit Generationen in dieser Familie so üblich ist? Bei der kleinsten Verhaltensstörung und bei der ersten schweren organischen Erkrankung hieße es: „Das war ja nicht anders zu erwarten"! Und bei den Hunden trauen wir uns zu, alles im Griff zu haben! Die wenigsten Züchter wissen, dass eine Inzucht über Generationen, also mehrmals den Cousin mit der Cousine gepaart, einer Inzestverbindung (Vater mal Tochter, Bruder mal Schwester. Mutter mal Sohn) gleichkommen kann. Die genetische Verarmung ist dramatisch und die Wahrscheinlichkeit über das Aufeinandertreffen der rezessiven Defektgene zu einem Mangel zu kommen, riesengroß. Auch der Inzuchtkoeffizient einer Verbindung gibt Aufschlug darüber, wie eng und damit gefährlich der Verwandtschaftsgrad einer Verbindung ist. Er ist eine rechnerische Größe, die m. E. wesentlich mehr in das Zucht geschehen einfließen müsste! Die Evolution beruht am wenigsten auf Mutation. Hingegen hat die Modifikation die fortwährende Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen die jeweilige Art überleben und sich weiter entwickeln lassen. Die rezessive Wirkungsweise der Gene kann man insofern auch als „Reservehaltung" ansehen. In der Generationsfolge werden sie immer wieder „aus dem Ärmel" geholt (Mendel). „Stechen" sie nicht, verschwinden sie wieder In der Versenkung.
Dieses Wechselspiel kann sich beliebig wiederholen, bis vielleicht die rezessive Wirkungsweise mehr gefragt ist und sich gegenüber der dominanten durchsetzt. Je größer eine Population und je umfangreicher ihr Erbbild (Genpool), umso besser ist ihre Anpassungsfähigkeit. Für uns Züchter von Gebrauchshunden heißt das, dass wir unsere kleinen Hundepopulationen zum einen so groß, zum anderen so vielseitig und unterschiedlich wie möglich ausgeprägt erhalten, um damit eine bestmögliche Variabilität, also Anpassungsfähigkeit und auch Gesundheit zu sichern. Haben wir unterschiedliche Hunde in einer Rasse unterschiedlich in der Größe, in der Farbe, der Kopfform, dem Haarkleid und so weiter haben wir auch unterschiedlich erbgesunde (erbkranke) Hunde, somit auch immer wieder ganz gesunde Hunde, die wir ja so dringend zum Überleben der jeweiligen Rasse benötigen. Ist alles gleich - oder ähnlich wird sich das im Gesundheitsbild widerspiegeln, selten im positiven Sinn. Die Gefahr der Gleichschaltung haben wir also nicht nur im Erscheinungsbild - Aussehen, Leistung - sondern auch im Krankheitsbild. Indem die Inzucht vermieden wird, kommt es automatisch zu einer Ausdünnung der Erbkrankheiten in einer Population. Das ist also die beste Möglichkeit, Erbkrankheiten zu bekämpfen, wird aber bei der Zucht unserer Jagdhunde m. E. sträflich vernachlässigt. Zur Vermeidung der Inzucht ist darauf zu achten, dass über mehrere Generationen (auf jeden Fall mindestens bis zur 5. Generation) keine Verwandtschaftsverhältnisse bestehen und somit kein „Ahnenverlust“ auftritt. Damit wird das Gegenteil von Inzucht nämlich Aus -Zucht betrieben. Ein erheblicher weiterer Schritt wäre die Fremdzucht, also die Vermischung von einander ähnlichen Rassen, um so zu einer Gesundung des Erbgutes zu kommen. Anschließende Rückkreuzungen sind unumgänglich. Dieses ist ein kompliziertes Verfahren, bei dem es schwierig werten kann, Exterieur, Leistungs- und allgemeinen Standard zu halten. Allerdings: einen Versuch wäre es wert! ----